Tag 11
Tag 11
24.02.2018
Ich bin aufgewacht und fand mich beim Nachdenken. Manchmal frag ich mich, ob mein Gehirn je damit aufhört nachzudenken. Die Erinnerung kam ganz sanft und verschwommen zu mir. Wir waren gestern abends noch aus, die Familie der Frau meines Bruders hat uns zum Abendessen eingeladen. Ich fühlte mich schon so früh am Morgen, wie ein Wiederkäuer der Erinnerung. Sie haben erzählt, dass die Regierungsarmee Flyer über Ghouta abgeworfen hat. Jeder hier kennt jemanden in Ghouta. Es ist ja nah und vor dem Krieg war es der Ort für unserer Ausflüge. In Ghouta fliesst der Barada, der Fluss der auch Damaskus mit Wasser versorgt. Ghouta war ein Himmel auf Erden, ganz viele Obstfelder und alles was das Herz begehrt gab es dort. Jetzt ist es die Hölle auf der Erde und ihre Bewohner glauben nicht mal mehr daran, dass die Sonne am nächsten Tag aufgehen wird. Meine Lehrerin sagte zu mir als ich bei ihr war, sie denkt es wäre eine Erleichterung wenn jemand eine Atombombe auf Syrien wirft. Dann sterben alle und gut ist es. Hah? Nein bitte nicht. Das ist keine so gute Idee!
Das System hat den Leuten in Ghouta und auch den Rebellen jetzt eine letzte Chance gegeben. Es gibt Befehle von Bashar Al-Assad, dass jeder der kapituliert nicht verletzt werden darf. Die Bewohner der Stadt wollen raus, aber die Rebellen lassen es nicht zu. Sie schießen dann selbst auf die Menschen, weil sie sie als menschliches Schutzschild benutzen wollen. Die Rebellen drohen gerade damit, Damaskus mit Raketen anzugreifen. Wir alle haben uns gefragt woher sie die Raketen haben! Naja, es gibt genug Versorger für Kriegsmaterial, glaube ich. Mal sehen was die nächsten Tage bringen.
Ich liebe es hier. Die Leute sind wunderbar und meine Mutter am meisten. In der Nacht kam sie zu mir ins Bett, drückte mich ganz fest und hat geweint. In 11 Tagen bin ich wieder weg, daran denkt sie jetzt schon. Es tut weh, aber ich glaube und hoffe dass es sich lohnt. Viele junge Leute hier haben mir gesagt, ich bin ein Vorbild für sie. Also der Kampf in Deutschland und der ganze Schmerz, es lohnt sich. Hoffentlich.
Wenn man im Auto unterwegs ist und irgendwo parkt, selbst wenn es nur für ein paar Minuten ist, dann wird man sofort von Bettlern angesprochen. Es sind ganz viele Frauen die wir ignorieren, weil wir annehmen, dass sie es zu ihrem Beruf gemacht haben. Weil sie auch ihr Gesicht bedecken, fällt es ihnen vielleicht leichter den ganzen Tag zu betteln. Mir tut es immer weh, aber ich kann es nicht ändern. Was ich nicht ertragen kann, ist wenn ein Kind bettelt. Wir standen da und ein Mädchen kam zum Fahrerfenster. Mein Bruder war draußen, etwas holen und wir saßen alle im Auto. Ich hinten in der Mitte. Sie haben versucht das Mädchen abzuweisen. Ich musste sie einfach fragen und so fragte ich wie alt sie ist. Zehn sagt sie. Woher sie kommt, aus Homs. Ob sie zur Schule geht, nein sie musste aufhören. Alle im Auto schwiegen und beobachteten verärgert meine Diskussion mit der Kleinen. Mein Bruder kam bevor ich das Geld aus meiner Tasche holen konnte und hat sie weggescheucht. Als er einstieg, sagte mein Vater zu ihm er sollte dem Mädchen schon etwas geben, da ich sie mit meinen Fragen gestört habe und ihr wahrscheinlich Hoffnung gegeben habe, was zu bekommen. Ich weiss nicht was man machen kann.
Kurz zum Geld. Ein Euro ist im Moment ungefähr 520-540 syrische Pfund wert. Meine Lehrerin meinte, damit man so einigermaßen über die Runden kommt, braucht man mindestens 150 000 syrische Pfund pro Monat. Also um die 300 Euro. Wenn man ziemlich gut leben möchte, braucht man mindestens 300 000 syrische Pfund, also um die 600 Euro, gerechnet für eine ganze Familie. Mmmmmm. Das Gehalt meiner Mutter, als Lehrerin und Leiterin einer Privatschule, beträgt um die 35 000 syrische Pfund (ca. 70 €) pro Monat und das Gehalt eines Lehrers in einer staatlichen Schule kommt auf 54 000 syrische Pfund, wenn der sehr gut ist und lange dabei ist. Das ganze hängt auch ein bisschen vom unterrichteten Fach ab und so. Als Orientierung haben diese Zahlen aber schon ihre Richtigkeit. Mmmmmm eine Frage, die können alle nicht überleben, wie geht das denn? Keine Ahnung. Wenn wir was kaufen sagt meine Mutter immer huff, sehr teuer. Ich rechne es um in Euro und finde alles so billig, fast wie geschenkt. Was ich in Deutschland für 15 Euro bekomme, kriege ich hier für einen Euro und so weiter. Verrückt! Sollte das Land irgendwann sicher werden, könnte dieses Währungsgefälle ein riesiger Antrieb für den Tourismus sein. So wie es zum Teil mit Polen und Bulgarien funktioniert.
Eines der größten Probleme ist jetzt, mit der Verbesserung der Sicherheitssituation und mit zunehmender Stabilität in unserer Stadt, werden viele Leute gierig und verlangen unrealistische Mieten von den Leuten die gerade in den Häusern sitzen. Nur weil ihre Häuser kaputt sind, oder in ihren Städten noch gekämpft wird. Auch die Leute die im Ausland Asyl hatten und jetzt zurück kommen, wollen zurück zu ihren Häusern, die sie so lange vermietet haben. Ja das ist so ein Ding. Man sitzt irgendwo rum, bekommt Sozialhilfe und in seinem eigenen Land verdient man mit seinen Immobilien weiter. Geht mich nichts an, bin ja noch keine Politikerin. Aber dass gerade viele Leute schon wieder auf der Straße landen, das ist Fakt. Man muss anfangen das Land aufzubauen und zwar zackig.
Vielleicht ist es hier ziemlich deprimierend und katastrophal, aber irgendwie ist es auch so herzlich, warm und schön. Ich liebe Syrien.