Tag 16


Tag 16
01.03.2018

Wenn jemand in unserer Stadt stirbt, wird sein Name durch die Lautsprecher auf den Moscheen angesagt. Man sagt an wann und wo sich die Leute treffen, um für die Seele des Verstorbenen zu beten. So geht es bei uns, weil unsere Stadt kleiner ist als eine Großstadt. In den großen Städten wie Damaskus, Aleppo und so weiter, da verteilt man überall weiße Zettel und klebt sie an die Wände. So können die Leute es lesen und wissen Bescheid, wer gestorben ist. Manche Wände sind ganz weiß geworden, mit ganz viel schwarzer Schrift.




In der letzten Zeit werden in unserer Stadt ganz oft Namen angesagt. Eine Besonderheit jedoch ist, dass der Ansager nach dem Namen noch den Herkunftsort nennt. Normalerweise sterben die Leute in den Städten, in denen sie ihren Wohnsitz haben und wo die Leute sie kennen. So muss man keinen Ort nennen. Jetzt ist es anders. Der aus Douma, der aus Harasta, die aus Rankous ….. alle sterben in der Fremde, nachdem sie ihre letzte Zeit im Leben in der Fremde verbracht haben. Meine Mutter hat mir erzählt, dass besonders die Verstorbenen aus den Geisterstädten wie Douma und Harasta, auf anderen Friedhöfen beerdigt werden. Sie kriegen eine Nummer, weil man vorhat, die Leichen später wieder zu exhumieren und in die Heimatstädte zu überführen.
In Syrien gibt es mehrere Gouvernements, vergleichbar mit den deutschen Bundesländern. Wie zum Beispiel Damaskus, das ist ein Gouvernement für sich. Wie Berlin und Brandenburg haben wir Damaskus und das Umland von Damaskus. Unsere Stadt liegt im Umland, wie auch Ghouta und Städte wie Douma. Douma war so zu sagen die Hauptstadt des Umlandes. Sie war die größte und wichtigste Stadt von allen. Ihre Bewohner waren reich und wohlauf. Jetzt haben sie nichts. Sie hatten grosse Häuser, Grundstücke und viele Geschäfte. Jetzt haben sie nichts und sterben in der Fremde, wie in den Nachbarstädten. Da merke ich, wie lächerlich es ist sich über Geld aufzuregen, über ein Prüfungsergebnis oder über eine verlorene Liebe. Es lohnt sich alles nicht.

Wir waren eingeladen, bei einer Lehrerin aus der Schule meiner Mutter. Ich kenne sie seitdem ich Kind war. Ihre Familie ist befreundet mit meiner Tante und ihrem Mann. So waren wir, mein Bruder und ich, oft zusammen mit meinem Cousin und Cousine bei ihnen. Sie sind reich und haben die schönste Villa die ich je gesehen habe. Ihre Geschwister sind jetzt auch über die Welt verteilt. Ja, nicht mal die Reichen können sich das zusammen leben kaufen. Aber die Villa ist immer noch die gleiche. Ich war sehr froh zu sehen, dass sie keinen Schaden von Bomben oder Gefechten davon getragen hat, ganz im Gegensatz zu der Villa meiner Tante die zur Hälfte zerstört ist.
Oh my God! Ich habe noch nie im Leben so lange gebraucht um einzuparken. Aber wenn man am Ziel ankommt und feststellt, man muss zwischen Soldaten parken, hah, da war ich doch durch den Wind. Die Armee hatte einige Zeit als die Stadt ein Kampffeld war, die Villa als Unterkunft benutzt. Hätte ich auch gemacht! So schön wie sie ist. LOL. Ich war sehr froh, wieder mal da zu sein und alle Lehrerinnen der Schule haben gesungen und getanzt. Das Essen war traumhaft und es war alles wunderschön. Dass man solche Momente in einem Kriegsland erleben darf, ich glaube das geht nicht an vielen Orten. Aber in Syrien geht das und es geht gut.

Die jungen Männer in Syrien haben das Problem, das sie zur Armee müssen. Es gibt einige Fälle, in denen man verschont wird. Zum Beispiel solange man studiert, kann man die Einberufung verschieben. Das zwingt viele Jungs ihr Studium zu verlängern, bis sie und ihre Familien eine andere Lösung gefunden haben. Die einzige Lösung in den meisten Fällen ist die Ausreise, weg mit dem Jungen ins Ausland. Sie flüchten oder versuchen Visa zu bekommen. Im Ausland versuchen sie ein Mädchen aus der Heimat zu heiraten und die Frau nachzuholen. Es gibt kaum noch junge Männer im Land, die die da sind, stehen an den Sperrpunkten. Tja, was kann man da machen? Wenn ich mit dem Auto vor ihnen halten muss, grüße ich sie freundlich, sie winken lächelnd dass ich vorbei fahren darf und ich bete im Herzen, möge Gott sie alle beschützen und diesem Land endlich Frieden schenken.