Tag 2


Tag 2
15.02.2018

Um acht Uhr aufgewacht. Ich bin in Syrien, also war es kein Traum. Später fahre ich mit meiner Mutter für das Frühstück einkaufen, und ich muss Auto fahren. In Syrien, tja, da ist das nicht so einfach.



Von dem was ich in der Stadt kenne, sind nur noch Spuren übrig. Die Menschen kommen alle aus anderen Städten, ich sehe keinen mir bekannten Menschen. Alles ist anders, aaaaalllllllles ist anders oder vielleicht doch nur ich? Ich bin viel anders geworden. Wir kaufen was wir wollen, viele andere Menschen tun das gleiche. Das Leben geht hier weiter, irgendwie. Ich wünschte mir, es wäre alles so wie früher, aber das ist es nicht, das wird es auch lange nicht mehr sein. Wir sind zurück und frühstücken alle zusammen. Das ist wohl das wertvollste was eine arabische Familie besitzen kann, das zusammen sein. Mein anderer Bruder fehlt mir. Aber es ist noch nicht soweit. Um ihn zu sehen muss ich wohl noch eine Runde der Geduld einlegen. Wie verstreut wir auf der Welt sind, denke ich mir, wie verstreut wir sind, stellen wir alle fest als wir Videos von damals wieder zusammen ansehen. Vielleicht, wenn es ganz still wäre, würde man das Stechen der Messer der Enttäuschung in unseren Herzen hören.

Später, im Laufe des Tages haben wir Besuch bekommen, von einer wunderschönen jungen Frau. Ich kenne sie nicht, aber sie sagt sie kennt mich! Sie leitet ein Institut für Sprachunterricht und Nachhilfe. Sie erzählte mir, wenn sie irgendwann verheiratet ist und eine Tochter bekommt, wird sie ihre Tochter nach mir nennen! Ich war verblüfft. Ein größeres Lob gibt glaub ich gar nicht. Immer wieder habe ich sehen können, wie beeindruckt die Leute sind, von dem was ich bis jetzt geschafft habe. „Alleine“ in Deutschland. Manche wollen ihre Töchter nach mir nennen, andere beten dass ihre Kinder aufwachsen um so zu sein wie ich! Es ist sehr schmeichelnd, ich hoffe ich kann der Verantwortung auch gerecht werden.

Aber ich werde auch schwach und deprimiert. Am Abend kommen zwei meiner Tanten um mich zu begrüssen und zu sehen. Der Mann meiner Tante, ein Herzchirurg, erzählt mir von der Situation der Medizin und der Ärzte vor Ort. Und alle erzählen von der Situation des Landes. Die Einberufung von jungen Männern in die Armee ist ein Hauptthema. Ein sehr deprimierendes Thema, man kann nichts dagegen machen. Ich bin mit anderen Erwartungen aus Deutschland abgeflogen, ich dachte es wird besser sein und ich trage vielleicht auch dazu bei, es besser zu machen. Es ist sehr bedrückend zu hören wie hoffnungslos alles ist und auch zu sehen, wie depressiv mein Bruder ist. Der Vater zweier ganz kleinen Kinder. Ich bin keine Psychologin. Ich wünschte mir ich wäre eine und könnte den Leuten hier ein bisschen helfen, wirksamer helfen. Ich kann nur lieben und weiss dabei, dass die Liebe leiser ist als das Schreien der Bomben.

„Bomben Mann, die Bomben. Sie fallen auf Menschen drauf und sie sterben dabei.“ so hatte ich in meinem Buch geschrieben. Und das habe ich wieder gedacht, als ich sie schießen und fallen höre. Meine Familie hat bitter gelächelt, als ich mit dem ersten Geräusch verzweifelt gefragt habe, ob es Feuerwerk ist oder wirklich Schießerei. Mein Bruder hat mir bestimmt gesagt, wir haben kein Feuerwerk. Weiter brauchte ich keine Erklärungen. Sie fallen auf die Geisterstädte. Die die nur noch Ruinen tragen, aus denen die mir fremden Menschen in unserer Stadt kommen. Alle sind an das Geräusch gewöhnt. Auch mein zweijähriger Neffe zuckt nicht mal. Aber mein Herz hat es nie akzeptiert und wird es wohl nie tun, das hier für normal zu halten.

Eine schlaflose Nacht. Deutschland, das schöne Deutschland. Was macht man, wenn man Deutschland nicht hat? Viele beneiden mich, dass ich mein Deutschland habe und ich verstehe es. Was hätte ich gemacht, wenn ich die Gedanken an mein Deutschland nicht hätte? Das schöne Deutschland. Der Traum.

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