Tag 3
Tag 3
16.02.2018
Die Stadt wacht langsam auf. Die Sonne kommt schüchtern raus und möchte gerne durch die von den Bombensplittern verursachten Löcher in die Häuser scheinen. Ich sitze mit meiner Mutter auf dem Balkon und wir trinken gemeinsam Kaffee. Die Vögel zwitschern so lebendig. Es gab Zeiten, in denen es keine mehr gab. Aber sie kamen zurück! Schön, dass wenigstens die Spatzen sich nicht fragen ob sie das müssen, sollen, können oder wollen. Sie machen es einfach, weil es hier Platz für das Leben gibt.
Ich habe etwas ganz spannendes, neues erlebt, nämlich den Versuch das Erbe meines vor knapp fünf Jahren verstorbenen Großvaters zu verteilen. Ja, ich glaube man kann sich vorstellen, dass es etwas ganz kompliziertes ist. Ich habe keine Ahnung wie so etwas in Deutschland abläuft, hatte aber auch keine Ahnung wie es bei uns geht, bis gestern.
Ich versuche kurz die Grundlagen dieser Angelegenheit zu erklären. Es gibt in Syrien zwei Hauptgesetze zu Erbangelegenheiten, natürlich alles soweit ich es verstanden habe, ich bin ja keine Rechtsanwältin. Das Erbe wird entweder nach gesetzlichem oder religiösem Erbrecht verteilt. Auch wenn man ein Grundstück kauft, muss man darauf achten ob so ein Kauf den Regeln des Gesetzes oder der Religion folgt. Im Koran sind Erbthemen ganz detailliert geregelt. Wer wieviel bekommt und wer gar nichts. Zum Beispiel besagt der Islam, dass von den Kindern des Verstorbenen den männlichen Erben ein doppelt so hoher Anteil zusteht, verglichen mit den Frauen. „Aha“ denkt ihr euch bestimmt, ja das dachte ich mir auch immer wieder. Aber ich versuche es euch kurz zu erklären, warum man denkt das wäre gut und gerecht. Es bleibt euch überlassen ob ihr das dann auch so empfindet oder nicht. Im Islam sind die Männer dazu verpflichtet, sich um die Frauen zu kümmern, sie zu behüten und zu beschützen. Alles was ein Mann verdient und besitzt, besitzt seine Frau auch mit, nicht auf dem Papier, aber unter moralischem Aspekt. Er muss sich auch um seine Mutter kümmern und seine Schwestern, um die Töchter natürlich auch. Daher haben die Männer eine sehr große Verantwortung, die sie zu erfüllen haben. Die Frau hat mit ihrem Besitz keine solchen Verpflichtungen, theoretisch könnte sie alles was sie hat für Schuhe ausgeben, mal überspitzt ausgedrückt. Natürlich läuft es in der Realität ganz anders ab, aber so war es mal gedacht.
Es war fürchterlich, zu sehen wie sehr man sich über Geld aufregen kann und wie beklemmend es ist, dass gerade meine Tante die Frau des Herzchirurgen am ärmsten und am bedürftigsten ist. Sie hat um jedes syrische Pfund gekämpft. Ich dachte an die Herzchirurgen in Deutschland und das sie sich für Götter auf Erden halten und habe mir vorgestellt, wie ihre Frauen versorgt sind. Meine Tante arbeitet schon immer als Buchhalterin und hat die ganze Zeit mit Geld zu tun, nur etwas davon besitzen tut sie nicht. Sie haben zu den Zeiten als die Stadt eingekesselt war, mit Plastiktüten und alten Schuhen geheizt. Egal wie giftig das ist. Ja die Kinder eines Facharztes für Herzchirurgie! Was für eine verrückte Welt.
Was diese Erbsache verzögerte und noch schwieriger machte, ist die Tatsache, dass zwei der Erbenden im Ausland im Asyl leben. Man muss sich mit Vollmachten durchkämpfen und alle verletzen sich gegenseitig, mit Aussagen wie „Du gehst doch weg, also was willst du mit den Grundstücken hier“? Mein Onkel der noch hier ist, zieht demnächst nach Schweden wegen Familienzusammenführung. Dem sah ich gestern den Schock auf dem Gesicht an. Er sagte dann erstickend, „Willst du nicht, dass ich zurück komme oder was?“ Alle gehen davon aus, wer einmal in Europa ist, der kommt nicht mehr zurück. Warum auch? Kommt jemand in den Himmel und bittet dann darum wieder in die Hölle geschickt zu werden? So denkt man hier.
Na gut, also wird man taxieren welchen Wert jede Sache hat, von dem was mein Großvater besaß und dann wird alles verteilt. Für die Mädchen gibt es den halben Anteil der Jungs und die Frau meines Großvaters hat Anrecht auf ein Achtel des Erbes, gemäß den religiösen Erbregeln. Im Gesetz ist es natürlich so, dass Junge und Mädchen gleich sind und daher genauso viel bekommen. Das gilt dann aber nur in den Grundstücksfragen die auch nach den gesetzlichen Regeln getätigt wurden. Es sei denn, alle Erbenden entscheiden sich zu der einen oder anderen Art der Erbregelung. Dem würden aber wohl die Männer der Familie nicht zustimmen. Aber eine Tante besteht darauf, dass sie überall wo es geht, nach der gesetzlichen Erbregelung behandelt wird, also genauso viel wie ihre Brüder erbt.
Aaaaaah ja, Kopfschmerz!!! Ich war so stolz auf meine Mutter, dass sie nicht viel geschrien und gekämpft hat, ich hatte ihr versprochen alles dafür zu tun damit wir uns keine Sorgen ums Geld machen müssen und mir habe ich versprochen, nie so zu werden, so hungrig auf Geld!