Tag 5


Tag 5
18.02.2018

Draußen ist es so windig, dass es durch die geschlossenen Fenster so laut pfeift, wie das Schnarchen eines riesigen Ungeheuers. Ich wachte auf und dachte an die Leute, die ohne Fenster in den leeren Häusern sitzen und versuchen jedes Loch mit einem Holzrahmen und einem Stück Plastikfolie zu schließen. Die Sonne scheint durch die dunklen Wolken. Ich lief zu meiner Mutter und dachte, sie ist zu schön um in dieser Hässlichkeit zu sitzen. Aber dann dachte ich daran, dass sie Syrerin ist und dass das hier Syrien ist. Es gehört zusammen. Ich werde ihr alle Schönheit der Welt zeigen und dann mit ganz viel Liebe immer wieder zurück nach Syrien kommen. Und Deutschland, das schöne Deutschland, das liebe Deutschland, ich vermisse es so sehr. Ich werde beiden Ländern Gutes tun, möge Gott mir beistehen.

Ich war heute in der Schule in der meine Mutter arbeitet. Sie ist Englischlehrerin und gleichzeitig Direktorin einer Privatgrundschule in unserer Stadt. Und was habe ich dort gefunden??? HOFFNUNG. Es war traumhaft. Die Kleinen sind Perlen, die auf unserer Erde rollen. Ich war verliebt und meine Freude könnte in keinem anderen Land größer gewesen sein. Die Kinder sind einfach wunderschön. In der ersten Klasse sind sie zu klein, um wirklich zu verstehen worum es heute ging. Aber auch für sie war die fremde Frau mit der Kamera natürlich was zum angucken. Die zweite Klasse war da schon ein ganz anderes Niveau. Beeindruckend war es, dass es in jeder Klasse mindestens eine/n Schüler/in gab, die wussten das Deutschland in Europa liegt! Mit 6 und 7 Jahren, Klasse! Natürlich hatten sie auch Fragen und sie wollten dass ich für sie auf Deutsch singe. Ich habe sie mit mir zusammen auf Deutsch singen und tanzen lassen. Alles ist auf meiner Kamera drauf und ich sehe es mir immer wieder an, um meine Hoffnungsbatterie aufzuladen. Arabische Kinder sind sehr herzlich und freundlich. Sie sind viel schneller dabei, jemanden in ihr Herz zu schliessen als andere Kinder und sie schreien gerne! Ich habe gefragt, wer alles Verwandte in Deutschland hat, das war erschreckend, ganz viele. Aber als ich gefragt habe, wie viele gerne nach Deutschland wollen, kaum jemand. Natürlich wissen sie nicht was Deutschland ist, nur dass es nicht die Heimat ist, das wissen sie und deshalb wollen sie nicht hin.

Unsere Kinder sind wunderschön und jedes Kind, das wir bei diesem fürchterlichen Krieg verloren haben, ist unersetzbar. Mit ihm ist ein Stück Zauber von dieser Welt einfach verschwunden.

Später haben wir Besuch bekommen, von den Eltern meiner Schwägerin. Ihr Vater kommt rein und trägt die Tasche seiner Frau auf der Schulter. Süß, dachte ich, so was bei einem bisschen älteren arabischen Mann zu sehen, ist einfach fantastisch. Er hat mich auch ganz herzlich begrüßt. Es wundert und beeindruckt mich, wie gut die Leute damit umgehen, dass ich kein Kopftuch trage! Bevor ich abgereist bin, hatte ich meine Familie gefragt, was sie denken was ich machen soll. Natürlich trage ich ungern Kopftuch, sonst hätte ich es auch in Deutschland getan, aber noch weniger möchte ich mir und meiner Familie Probleme und Unannehmlichkeiten bereiten. Die Aussage meines Bruders war, wenn man Kopftuch trägt, dann für die Religion und Gott und nicht für die Menschen. Wenn du es woanders nicht machst, dann solltest du es hier auch nicht machen. Meinem Vater gefällt es nicht so sehr, dass seine streng religiösen Freunde sehen können, dass seine Tochter ohne Kopftuch rumläuft. Aber er möchte mich auch zu nichts zwingen. Bis jetzt habe ich von keinem dumme Kommentare gehört und das finde ich schön und gut und super und und und.
Ich möchte nicht dass die Leute weniger religiös sind, weil ich weiss was die Religion für uns bedeutet. Alles was ich will ist Respekt. Dass jeder respektiert wird, egal was er ist, oder macht oder denkt und vielleicht schaffen wir das. Ich habe Hoffnung.

Die UN macht hier eine gute Arbeit. Sie haben Villen gemietet und bringen die Kinder der staatlichen Schulen vor oder nach der Schule dorthin, weil es in Syrien zwei unterschiedliche Schulzeiten gibt. Die eine Hälfte der Schüler geht früh, die andere Hälfte abends zur Schule. Anders würde man die Massen an Schülern nichts unterrichten können. Jedenfalls, sie fahren die Kinder nach dem Unterricht zu diesen Villen und dort warten dann die Angestellten der UN auf sie, sie lassen niemanden sonst in die Gebäude, außer den Kindern. Dort spielen sie mit ihnen und lassen sie malen, singen und alles machen, was ein Kind machen soll. Das war meine Idee! Aber egal, Gott sei Dank gibt es jemanden, der es macht. Außerdem verteilen sie an den staatlichen Schulen Mahlzeiten an die Kinder, mit einer Flasche Milch und solchen Sachen. Die Schule meiner Mutter ist davon ausgeschlossen, da sie eine Privatschule ist und sie gehen davon aus, wer die Gebühren einer Privatschule bezahlen kann, kann seinem Kind auch Milch kaufen. Meine Mutter sagte mir dazu, viele Leute sparen sich die Schulgebühren vom Munde ab, damit die Kinder auf eine Privatschule gehen können. Dann kriegt das Kind natürlich auch seine Milch, aber die Eltern dafür kaum Brot, zum Beispiel. Die Eltern wollen nur, dass ihr Kind nicht mit 60 anderen Schülern in einer Klasse steckt. Dort, wo auch Läuse, Krätze und Schimpfwörter getauscht werden. Das kann ich gut nachvollziehen und ich finde es richtig, selbst wenn die Eltern hungern. Sie sind letztendlich diejenigen die das Kind zur Welt gebracht haben. Sie lassen dieses Argument aber auch nicht immer gelten. Meine Mutter hat mir erzählt, wie viele die Gebühren nicht vollständig bezahlen und meinen, es ist sowieso zu viel was die Schule verlangt. Daher dürften sie weniger bezahlen. Von wegen selbst Gerechtigkeit schaffen. So was lässt mich verzweifeln. Solange die Menschen Unrecht tun, glaube ich nicht das irgend etwas besser wird. Egal wie schön und rein die Kinder sind, sie sind die Pflanzen ihrer Eltern und wenn es nach diesen Eltern geht, werden wir später viel Unkraut haben. Meine Mutter hat eine Nachricht vom Staat bekommen. Die Leiter der Schulen sollen bitte darauf achten, wohin die Hilfe der UN geht und das jedes Kind seine Mahlzeit bekommt. Der Grund dafür ist,das die UN festgestellt hat, dass die Hilfsgüter in manchen Schulen verschwinden und später verkauft werden, in privaten Geschäften. Sie meinten, man sollte bitte beachten, dass wenn die UN das erfährt, die Hilfe für die Kinder eingestellt wird. Und das wäre nur schade für die Kinder, die vielleicht nur dadurch die Chance auf eine ausgewogene Ernährung haben. Ich weiss nicht was ich von dem ganzen halten soll. Ich bin nicht naiv, ich weiss dass es überall das Gute und das Schlechte gibt. Aber einem Kind seine Milch vorzuenthalten, das ist zu viel für meine Logik.

Dennoch gibt es Schlimmeres.

Wir waren gestern bei der Frau meines Großvaters zu Besuch. Ich hatte es vergessen, dass ich wieder mal da war, bevor ich nach Deutschland zum Studium gegangen bin. Ich hatte es vergessen, dass ich im Haus meines Großvaters war, ohne dass er da war und dass es grauenvoll war, zu sehen wie schlimm das Haus von den Bomben getroffen wurde, die auf die Stadt fielen. Ich finde es traurig, dass mein Großvater das noch erleben musste. Er war 80 Jahre alt, als er starb. Da war ich nicht bei ihm, da ich in Jordanien war um Deutsch zu lernen. Aber bevor er starb, musste er mehrmals flüchten und hatte die Verzweifelung des Krieges miterlebt. Mein Großvater hat in Syrien und Saudi Arabien viel gebaut, besonders Moscheen. Er hat immer aufgebaut und nie kaputt gemacht. Dann, zum Ende seines Lebens, musste er zusehen wie alles bis auf die Grundmauern niedergerissen wird, was er in seinem Leben aufgebaut hat. Er hat erleben müssen, wie seine Kinder ins Asyl fliehen und seine Freunde beleidigt werden. Es tut mir sehr leid für ihn und für uns.

Seine Frau kommt aus einer der schönsten Städte Syriens oder besser gesagt, der damals schönsten Städte Syriens. Eine Stadt auf den Bergen mit ganz viel Schnee, Wasser und Grün. Nach meinem Abitur waren wir einmal bei ihrer Familie zu Besuch und sie haben uns so begrüßt, als wären wir zu Hause angekommen. Sie haben uns ihre Obstfelder gezeigt. Nie in meinem Leben hatte ich so viele Pflaumen auf einem Baum gesehen. Ich glaube durch die Art wie ich erzähle, kann man sich schon denken, dass es jetzt alles verloren ist. Die schöne Stadt ist jetzt auch eine Geisterstadt und ihre Menschen sind überall auf der Welt verstreut. Die Frau meines Großvaters hat alle ihre Brüder verloren, alle drei. Zwei davon im Krieg, einen durch ein Bombensplitter und den anderen durch einen Schuss in den Kopf. Die Kämpfer waren gelangweilt und hatten nichts anderes gefunden worauf sie Schießübungen machen konnten, da haben sie die Leute in ihren Häusern erschossen. JA DAS MEINE ICH ERNST! Jetzt müssen alle jungen Männer zur Armee und ihr Neffe ist auch dabei. Ich war schockiert als ich sein Bild gesehen habe und feststellen musste, dass die Soldaten als Teil ihrer Uniform ein Abzeichen an der Jacke tragen müssen. Ein Abzeichen mit beiden Fahnen darauf, die syrische und ………. die russische!!!!! Da war ich mir sicher, dass wir unter russischer Besatzung sind. Es ist klar. Ich brannte vor Wut. Was haben wir von Russland bekommen außer Waffen und noch mehr Krieg? Deutschland hat unglaublich viele syrische Flüchtlinge aufgenommen und keine Ahnung wie viel geholfen, warum hat Deutschland nicht eine politische Hand hier? Was soll das ganze?
Ich weiss ich sollte das mit der Politik lassen, ich will mich und meine Familie nicht gefährden und ich möchte sowieso nur für die Kinder da sein, aber es macht mich alles so verrückt.

Deutschland, liebes Deutschland, mach doch was.

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